40 Jahre Kalkwiesen

Ein ehemaliges Neubaugebiet in Horneburg feiert dieses Jahr sein Jubiläum. Die Anwohner Frau und Herr Kluit erinnern sich und erzählen.
„Die werden absaufen“ hieß es damals im Flecken Horneburg über die neu zugezogenen Hamburger. Darin waren sich zumindest viele der alt Eingesessenen einig. Sie wären nie auf den Gedanken gekommen, ein Überlaufbecken der Aue trockenzulegen, daraus Bauland zu machen und dort schließlich in ein Eigenheim zu investieren. Der Name Kalkwiesen stammt von den Muscheln, die durch die Tide angeschwemmt wurden und sich auf dem Grund der Aue ablagerten.
Alles begann mit der Bauplanung einer Entlastungsstraße, dem Auedamm.

Kalkwiesen in Horneburg
Die Kalkwiesen liegen in zentraler Lage direkt an der Aue.

Ausschreibung für Bebauungsplan

Der Flecken Horneburg kaufte einem Landwirt das Areal der Kalkwiesen ab und wies dann das Gelände zwischen Auedamm und Bahnlinie als Neubaugebiet aus. Wie in fast jedem größeren Ort auch waren in Horneburg ursprünglich Bausünden im Stil der 1960er und 1970er Jahre geplant. Hochhäuser mit bis zu acht Stockwerken sollten es werden. Doch wegen einer Rezession auf dem Baumarkt wurde der drohende Schandfleck noch einmal überdacht. Der Flecken Horneburg machte eine öffentliche Ausschreibung und nahm Bauentwürfe von interessierten Bauträgern entgegen. Der neue Bebauungsplan sah als Maximum 120 Wohneinheiten vor, die zur Architektur des Ortes passten. Vorherrschend sind rote Ziegelbauten, aber auch Fachwerkhäuser und Garagen sind dabei.

Zentrale Lage

Frau und Herr Kluit sahen die Bauentwürfe von den Bauträgern, die den Zuschlag bekommen hatten, im Hamburger Abendblatt. Sie wollten mit ihren zwei Kindern ins Grüne ziehen und Horneburg bot ihnen alles, was sie sich von ihrer Wahlheimat wünschten: Einkaufsmöglichkeiten, Schulen und die Anbindung an Hamburg mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Damals gab es noch viele Kleinhändler wie einen Tante-Emma Laden, Gemüsehändler und ein Schuhgeschäft in der Langen Straße, berichtet das Ehepaar, und der Zug fuhr nur einmal die Stunde. Seit dem S-Bahn Anschluss in 2007 fährt die Bahn bis zu vier Mal und der Start (ehemals Metronom) zwei Mal pro Stunde. Das sei schon Luxus im Vergleich zu 1980. Nach 40 Jahren ist in den Kalkwiesen der Generationenwechsel spürbar. Teilweise bewohnen jetzt wieder junge Familien wie einst die Häuser. Die Kalkwiesen sind im Zentrum. Die Wege sind alle kurz, was besonders für Senioren attraktiv ist. Auch das Kurbad und die Physiopraxis in der Nachbarschaft sind ein großes Plus.

Ein Lob spricht das Ehepaar Kluit dem Bauamt aus, das die Gemeindegrundstücke und Rabatten so sehr schön und sauber halte. Die Reihenhäuser sind alle besonders geräumig und großzügig gebaut, die dazugehörigen Gärten ungewöhnlich großflächig angelegt und auch die Straße mit den Parkbuchten wirkt erstaunlich ausladend verglichen mit den eher engen und klein-parzelligen Neubaugebieten von heute.

Viele Veranstaltung stärkten die Nachbarschaft

Im Dorf waren „die Neuen“ Fremde, aber in ihrer Straße wuchsen die jungen Familien zu einer Gemeinschaft zusammen. Um sich kennenzulernen, gab es Straßenfeste. Die alljährlich wiederkehrende Planung der Veranstaltung ging reihum, so dass jede Hauszeile mal mit der Organisation beauftragt war. Im Sommer traf man sich auf Sommerfesten am Wasser. Das Highlight des unterhaltsamen Nachmittags war das Entenrennen bereits lange bevor dieses Vergnügen auch in Buxtehude und Stade ausgerichtet wurde. In den Wochen vor dem Event bastelten die Familien in Eigenregie Enten aus unterschiedlichen Materialien, wie z. B. Holz oder Kunststoff, und mit einem Motor. Die Enten glitten dann beim Wettbewerb unter Anspornungsrufen im Schwarm über den Teich. Manche kippten um, gluckerten unter, blieben am Rand stecken oder streikten plötzlich mitten auf dem Teich. Die Ente, die es als erstes heil ins Ziel schaffte, hatte gewonnen. Mitmachen war alles, der Spaß riesengroß. Zu früheren Zeiten vor 1980 gab es sogar ein Freibad in einem abgeteilten Schwimmbereich der Aue. Im Winter fanden auf dem zugefrorenen Feuerlöschteich Eisfeste statt. Die Kinder liefen auf dem Eis Schlittschuhe und bekamen heißen Kakao zum Aufwärmen. Für die Erwachsenen gab es Lumumba, der zu jener Zeit noch ganz bodenständig „Kakao mit Schuss“ genannt wurde. Am Ende des Jahres standen gute Wünsche für das Weihnachtsfest und das neue Jahr in der „Kalkwiesen-Info“. Jenes schwarze Brett glich einem Vogelhäuschen und strahlte sehr viel Herzlichkeit aus.

Der Pannkoken-Park

Seit 20 Jahren schmückt der Horneburger Pannkoken Park das Ende der Straße vor den Bahngleisen. Die lokale Familieninitiative Kunterbunt, initiiert von Peter Schleßelmann, legte die Streuobstwiese mit Apfelbäumen der alten Altländer Traditionssorte Horneburger Pfannkuchen an. Das Projekt „Mein Nachbar ist ein Apfelbaum“ stand unter dem Motto „Gemeinsam mehr bewegen“. Die dort Anfang Oktober geernteten Äpfel werden überwiegend zu Saft, Mus und Kuchen verarbeitet. Angeregt von „Kalkwiesen-Anwohnern der ersten Stunde“ kommt die Idee, dieses Projekt auch im geplanten Kreisel auf dem Auedamm in Höhe der Kalkwiesen z. B. in Form zweier Kinder mit einem Korb Äpfel darzustellen.

Der „Hornbörger Pannkoken“ enstand 1840 als Zufallssämling auf dem Marschdamm. Der Altländer Obstbauer Jacob Köpke vermehrte ihn in Neuenkirchen. Vor dem Zweiten Weltkrieg führte der leicht säuerliche, als „mäßiger Eß-, guter Mus- und hervorragender Saft- und Backapfel“ charakterisierte Pannkoken noch die Erntestatistik des Alten Landes an. In den 1990er Jahren lag der Anbau dieser Apfelsorte unter einem Prozent und nahm weiter ab. Diese mittlerweile bedrohte Apfelsorte wurde im Freilichtmuseum am Kiekeberg zum „Apfel des Jahres 2016“ gewählt. Auch die Loki Schmidt Stiftung setzt sich für die Erhaltung alter Obstsorten ein.

Hochwasser

Übrigens, „abgesoffen“ ist ein Großteil der Kalkwiesen am Freitag, den 19.07.2002 tatsächlich. In ganz Mitteleuropa regnete es den Sommer extrem viel und die Aue lief über. Das Wasser füllte die Straße und suchte sich den Weg in so manchen Keller. Die Feuerwehr war im Dauereinsatz, pumpte das Wasser ab und platzierte Sandsäcke vor die Türen. Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel kam wegen der Überschwemmung nach Horneburg. Bundeskanzler Gerhard Schröder war wenige Tage später beim Oderbruch, ein ehemaliges Binnendelta, im Fernsehen zu sehen. Seitdem aber wurde der Deich an der Aue und Lühe erhöht und die Bewohner sind vorerst wieder sicher. (KP)