„Methusalems“ erinnern sich an Horneburger Originale
Es ist nun schon 50 Jahre her, dass wir in Horneburg zu den Neubürgern zählten. Inzwischen sind wir „Methusalems“ geworden, und wie bei älteren Leuten üblich, spazieren auch wir gern ab und zu über den Friedhof. Inzwischen treffen wir dort auf immer mehr bekannte Namen, mit denen uns Erinnerungen verbinden, wie zum Beispiel mit unserem Nachbarn Ernst-Walter Engelke. Oder unser ehemaliger Bürgermeister Hans-Heinrich Dankers mit seinem gediegenen Humor, der uns in gemütlicher Runde gern mit lustigen Horneburger Begebenheiten zum Lachen brachte. „Sag mal, gab es in Horneburg auch richtige Originale?“ fragten wir einmal neugierig in die Runde. „Aber sicher doch! Kennt ihr den alten Fritz Stobbe nicht mehr? Der hieß im Ort bloß „der Panzergeneral“. Der saß jeden Tag im Ort auf der Bank mit seiner Plastiktüte voller Flaschen: Ein Schluck aus der Kömbuddel und gleich einen Schluck aus der Milchtüte hinterher. Ja, der war plietsch, der Kerl. Wenn sie ihn mal wieder in die Psychiatrie eingewiesen hatten, dann stand da immer auf dem Nachttisch eine Kömbuddel parat. Aber der Panzergeneral hat sich gedacht: „Holzauge sei wachsam“, und hat den Schnaps nicht angerührt. Tja, dann mussten sie ihn wieder rauslassen aus der Klapsmühle.“ Nun fiel Ernst-Walter der alte Lehrer Reuter ein: „Weißt du noch, Hans-Heinrich? Junge auch, war das ein Schlitzohr! Der hatte immer einen im Sinn und konnte die Leute ganz schön auf den Arm nehmen. Mit meines Bruders Klasse ist er mal losgezogen, um den unterirdischen Gang vom Isern Hinnerk zu suchen. Da soll ja ein Geheimgang zwischen Burgmannshof und der Kirche gewesen sein, sagt man. Also ist er am 1. April mit seiner Klasse von der Volksschule rüber zur Kirche gewandert. Am Kirchentor hat er jedem Schüler ein Talglicht in die Hand gedrückt, und dann stiegen sie alle zusammen in den Kirchturm rauf. Als sie oben angepustet kamen, grinste der Lehrer hintersinnig und fragte: Naaa? Ist euch nun ein Licht aufgegangen? Oder wollt ihr hier oben den unterirdischen Geheimgang finden?“ – „Ja, ja, das war ein Original,“ sinnierte nun Hans-Heinrich. „Der hat auch mal meine Frau so richtig angeschmiert. Junge, was hat die sich geärgert! Sie wollte bloß etwas Milch und Butter einkaufen, als sie ihn traf : Na, Lisa, ist deine Tasche nicht ein bisschen lütt zum Einkaufen? Bei Schöttler gibt’s heute Blumenkohl, Stück bloß 50 Pfennig und groß wie ein Fußball. Das ist doch was für deine große Familie, Deern. Aber in die lütte Tasche passt ja nichts rein. Lisa lief gleich nach Hause, holte zwei große Taschen und noch zwei Netze und rannte zu Schöttler hin: fünf Blumenkohlköpfe, rief sie noch ganz außer Atem Frau Schöttler zu. Blumenkohl? Nee, wir haben keinen Blumenkohl. Da hat dich wohl einer in den April geschickt, Lisa.“ – Wir haben erstmal eine Runde gelacht über den achtersinnigen Lehrer Reuter. Doch Ernst-Walter hatte noch ein Reuter-Döntje auf Lager: „Das war gleich nach dem Krieg, als die vielen Flüchtlinge aus dem Osten in Horneburg ankamen. Da traf der alte Reuter unseren Nachbarn Niklas und schickte den mal so richtig in den April. Junge, Junge, das hat der so gar nicht verknusen können: Was, Niklas, du läufst hier so gemütlich im Ort rum? Hast du denn schon alles klar zu Hause für heute Nachmittag? Um 16:00 Uhr kommen ja deine Flüchtlinge, die du bei dir im Haus unterbringen musst. Als Niklas nun vor Schreck die Kinnlade runterfiel, tröstete der alte Reuter ihn so richtig mitfühlig: Was? Nun sag bloß noch, dass du davon nichts weißt? Na, dann man zu, dass du noch alles rechtzeitig fertig hast bis die Leute kommen. Platz hast du ja genug oben in deinem Haus, nicht? Niklas rannte wie der Deubel nach Haus und räumte und scheuerte seine Dachwohnung aus. Und ich hab Niklas noch gefragt, ob er am Renovieren sei oder ob er Besuch erwartete. Nee, Ernst-Walter, lass mich bloß in Ruhe heute, ich hab keine Zeit zu verlieren. Wir kriegen heut Nachmittag Flüchtlinge einquartiert. Als ich das dem alten Reuter erzählte, kriegte der sich gar nicht mehr ein vor Lachen. Auch wir Neubürger haben damals herzlich gelacht. Und der alte Lehrer Reuter war plötzlich wieder lebendig geworden in unserer kleinen Nachbarschaftsrunde. Ja, und heute? Hätte sich der alte Reuter wohl vorstellen können, dass im Jahre 2022 wieder Kriegsflüchtlinge aus dem Osten bei uns ankommen? Dass es wieder einen Krieg in Europa gibt? Dass im Osten Russen und Ukrainer – Brudervölker! – aufeinander schießen? Da bleibt uns „Methusalems“ doch vor Entsetzen das Lachen im Halse stecken!
Astrid Rehberg