Horneburg am Heiligabend

Der Abend hat den Tag längst eingeholt. Zum Abendessen ist es noch zu früh, also warme Kleidung an und ab in die Dunkelheit. Grauer Himmel, nasskalt, ein wenig Raureif, von Schnee keine Spur.
Stille empfängt mich, in der Ferne Kirchenglocken, ab und zu ein Auto. Nur wenige Passanten treffe ich, mal mit Kartons unter dem Arm, mal ragen aus den Tragetüten lang verpackte Geschenke heraus. Die meisten Leute haben es eilig.

Liebfrauenkirche
Liebfrauenkirche Horneburg. Foto: Frank Irmer

Mein Schritt geht durch eine Siedlung. In fast jedem Garten eine Tanne mit elektrischen Kerzen, manchmal aber auch viele kleine Lichter, schier unmöglich sie alle zu zählen. Aber – keine Regel ohne Ausnahme: in den Blumenkästen rechts und links vor einer Haustür beleuchtete Weihnachtsmänner.
Jetzt habe ich den Deich erreicht. Das Gras glatt vom Raureif, der kleine Fluss düster und still. Nur ein paar Enten streiten sich – mark – mark – mark höre ich, sehen kann ich sie nicht. Als ich die Straße überquere, biegen eine Reihe Autos in flotter Fahrt in Richtung Feuerwehr ab.
Ja? Ja, tatsächlich. Alarmlicht im gesamten Gerätehaus, die Remisentore springen auf, routinemäßiges Hantieren, Wortfetzen der Feuerwehrleute, die schweren Dieselmotoren wummern los, und schon rollen die roten Einsatzfahrzeuge heraus und verschwinden mit zuckenden Blaulichtern in der Dunkelheit.
„Tatü tata“ höre ich es ein paar Mal, dann ist es wieder still. Was mag passiert sein? Feuer oder Unfall, Hilfeleistung ??? Hoffentlich ist es nicht gar so schlimm!
Mein Gang geht durch die hell erleuchtete Geschäftsstraße. Die Fenster voller Auslagen, als wäre überhaupt nichts verkauft worden. Ja, unsere Konsumgesellschaft.
Eine Gruppe Passanten (Migranten?) drückt sich an einem Schaufenster die Nasen platt. Was mögen sie denken? Ich höre sie miteinander reden, ihre Sprache verstehe ich nicht.
Kurz vor dem Marktplatz höre ich Schritte hinter mir. Ehe ich mich umdrehen kann überholt er mich, der Weihnachtsmann, und geht mit langen Schritten über den Platz in Richtung Neubaugebiet. Gleich werden Kinderaugen leuchten. Ein wenig weiter das Haus einer Ausländerfamilie. Durch die Scheiben erkenne ich einen Tannenbaum, bunt geschmückt und höre fröhliches Kindergeschrei. Die Familie lebt seit Jahren hier im Ort und feiert Weihnachten wie wir, das sind doch längst keine Ausländer mehr. Oder?
In der Nähe des Freibades stoppt ein Wagen. Heraus klettert ein Weihnachtsmann. Ein junger Vater wartet bereits an der Gartenpforte mit den Worten „na, noch viel auf dem Zettel?“
„Ja“, sagt der Herr im roten Mantel, ,,noch drei Stellen“. Der Stress ist hörbar.
Da es zu nieseln beginnt, gehe ich eine Abkürzung um nach Hause zu kommen. Da kommt er mir entgegen, Weihnachtsmann Nr. 3. Er hebt die Hand zum Gruß und ruft „Frohe Weihnachten“. Ich grüße zurück und sage ebenfalls Frohe Weihnachten!
Ernst-Erich Meyer